Software war das Kernthema der diesjährigen Google I/O. Zwar stellten die Moderatoren auch drei Smartwatches vor, in erster Linie ging es jedoch um die Demonstration von Android Wear und Android L.
Nun hat gestern auch Google mit der Google I/O seine Entwicklerkonferenz abgehalten – als letztes der drei dominierenden Software-Unternehmen. Microsofts Build fand bereits im April statt, während Apple seine World Wide Developers Conference (WWDC) Anfang Juni veranstaltet hatte.
Apple und Microsoft präsentierten in ihren jeweiligen Keynotes sehr medienwirksam die Strategien für die nächsten zwölf Monate. Google begriff seine eigene Veranstaltung dagegen als rundweg auf Entwickler zugeschnittene Veranstaltung und ging bereits zum Auftakt sehr detailreich in die Tiefe. Auf den ersten Blick war die Google-I/O-Keynote deshalb etwas schwerer zu verfolgen als die Konkurrenzveranstaltungen. Dafür lieferte Google Informationen ohne Ende.
Android L
Linktipp – Android-L-Funktion ist bereits im App-Store
Das Herzstück der Veranstaltung war Googles nächste Android-Version, die derzeit unter dem Code-Namen Android L entwickelt wird. Das Unternehmen adoptiert neuerdings Apples Strategie, bei der das Betriebssystem deutlich vor dem tatsächlichen Veröffentlichungstermin im Herbst angekündigt wird.
Das Betriebssystem wird einige tiefgreifende Neuerungen erhalten, die Googles martkbeherrschende Stellung noch weiter ausbauen dürften. Vieles hat sich das Unternehmen dabei bei der Konkurrenz abgeschaut.
Linktipp – Google erlaubt keine alternativen Oberflächen für Android Wear
64-Bit-Architektur
Android L unterstützt die 64-Bit-Prozessor-Architektur. Sowohl Qualcomm als auch NVIDIA und Samsung wollen noch diesen Sommer Prozessoren mit 64-Bit-Architektur herausbringen. Außerdem entwickelt HTC offenbar derzeit ein Nexus-Tablet mit 9-Zoll-Screen und NVIDIA-Tegra-K1-Prozessor mit 64-Bit-Architektur. iOS und Windows sind Google hier jedoch weit voraus, schließlich hat Apple bereits letzten Herbst Smartphones und Tablets mit 64-Bit-Prozessoren herausgebracht und Microsoft arbeitet schon seit Jahren mit dieser Architektur.
Android for Work
Offenbar lies sich Google von Blackberry inspirieren, als das Unternehmen Android für Arbeit entwickelte. Denn in Zukunft sollen Android-Nutzer ihre privaten und ihre beruflichen Apps strikt trennen können. Eine im Arbeitsprofil genutzte App kann nicht auf den Datensatz aus dem privaten Profil zugreifen und andersherum. Google hat hier eine Reihe an neuen APIs, offene Schnittstellen für Programmierer, entwickelt, anhand derer die IT-Abteilungen von Firmen ihre eigenen Anpassungen vornehmen können.
Linktipp – Erste Apps für Android Wear im Google Play Store
Bessere Kamera
Android wird in Zukunft deutlich bessere Kamera-Apps bekommen. Google erlaubt Apps bei Android L den direkten Zugriff auf das rohe Bildmaterial, das der Sensor der Kamera aufnimmt. Mit diese unkomprimierten Daten können App-Entwickler ihre eigenen Apps für Fotos, Spiele und Virtual Reality programmieren, die dieses Rohmaterial deutlich besser verarbeiten können, als die nicht sehr hochwertige Google-Camera-App.
Längere Akkulaufzeit
So ziemlich jeder Hersteller von Android-Smartphones hat sich Gedanken darüber gemacht, wie das Telefon Strom sparen kann, wenn die Kapazität des Akkus zur Neige geht. Googles Nexus-Geräte müssen für dieses Feature jedoch auf Apps aus dem Googe Play Store zurückgreifen. Diese haben ohne Root jedoch nur sehr beschränkte Möglichkeiten, um tatsächlich ordentlich Energie zu sparen. Das soll sich nun ändern: Android wird seinen eigenen Energiesparmodus bekommen, mit dem die Geräte länger durchhalten sollen. Allen voran bei der energiehungrigen Hardware der High-End-Geräte hat Android diese Funktion bitter nötig.
Kill Switch
Auch der Kill Switch ist eine Idee, die Apple bereits vor einiger Zeit umgesetzt hat. Android-Nutzer können damit ihr Telefon oder ihr Tablet aus der Ferne auf dem Werkszustand zurücksetzen. Alle persönlichen Daten, seien es SMS, Bilder oder E-Mail-Konten werden auf diese Weise gelöscht, sollte das Gerät verloren gehen oder gestohlen werden. Seit Apple diese Funktion bei iOS 7 eingebaut hat, sind die Diebstähle von iPhones und iPads nach Angaben der US-Regierung deutlich zurückgegangen.
Neuer Lockscreen
Google verpasst seinem Betriebssystem einen neuen Sperrbildschirm. Ganz ähnlich wie bei Apples Mitteilungszentrale zeigt Android L auf dem Sperrbildschirm SMS, WhatsApp-Nachrichten und andere Benachrichtigungen an. Sie können dort außerdem direkt bearbeitet werden. Der Nutzer kann selbst auswählen, welche Benachrichtigungen dort sehen will. Bisher war dies nur über die Apps Dritter möglich und auch dann nur, wenn der Anwender keinen PIN-Code eingestellt hatte.
Google geht jedoch noch einen Schritt weiter als Apple und erlaubt drei verschiedene Stufen der Privatsphäre. Bei der ersten Stufe kann der Nutzer die Nachricht lesen und beantworten, ohne dass er den PIN-Code eingeben muss. Bei der zweiten Stufe werden nur mittels Icons angezeigt, dass eine neue Nachricht eingetroffen ist. Bearbeiten kann sie der Anwender jedoch erst nachdem er das Smartphone entsperrt hat. Derzeit ist bei Android nur diese Stufe möglich. Bei der dritten Stufe wird nichts angezeigt, sofern der Lock-Screen aktiv ist. Erst nach erfolgreicher Entsperrung des Geräts kann der Nutzer sehen, dass er überhaupt eine Nachricht bekommen hat.
Neues Design
Google will in Zukunft das Design all seiner Programme, Web-Applikationen und Betriebssysteme aneinander angleichen. Unter dem Namen Material Design werden sich also Chrome, Chrome OS, Android in all seinen Varianten, GMail und sonstige Anwendungen sehr ähneln.
Material Design ist von mehreren Quellen beeinflusst. Zum einen ähnelt die neue Oberfläche in seinem flachen Design iOS 7. Die großen und farbigen Flächen wirken auf den ersten Blick so als wären sie von der Kacheloptik von Windows Phone entlehnt worden. Vor allem bei der Darstellung von Bildern ist dieser Eindruck geradezu unvermeidbar.
Der größte Einfluss stammt jedoch von einem Google-Programm. Das Karten-Design von Google Now breitet sich bei Android L über das komplette Betriebssystem aus. Benachrichtigungen werden in diesem Format angezeigt und lassen sich wie Karteikarten sehr effektvoll übereinander stapeln oder durchblättern. Diese Kartenoptik zieht sich erfreulicherweise durch das ganze Betriebssystem und so ziemlich jede Google-App. Auch bei Googles Web-Applikationen und Android Wear soll sie in den Fokus rücken.
Auf einer eigens eingerichteten Webseite erklärt Google das Designprinzip im Detail, so dass auch unabhängige Entwickler ihre Apps an Googles Material Design anpassen können.
Android Wear
Googles Betriebssystem für Wearables hat das Unternehmen bereits vor drei Monaten angekündigt. Nun hat es das Unternehmen auch veröffentlicht und ging bei den Details etwas in die Tiefe.
Bei Android Wear handelt es sich im Prinzip um eine Adaption von Google Now. Informationen werden sehr übersichtlich im Karteikartenformat angezeigt. Suchergebnisse liefert Android Wear ebenfalls in diesem Design ab. Mit vertikalen Wischgesten steuert der Nutzer durch die vielen Karten, während er mit horizontalen Gesten zusätzliche Informationen zum derzeit angezeigten Thema abrufen kann.
Ein Tap auf das Display weckt das Betriebssystem aus dem Stand-By-Modus. Anschließend kann der Anwender mit dem Befehl „Okay, Google“ einen Sprachbefehl starten. Ein Wisch von unten versetzt das Betriebssystem wieder in den Stand-By-Modus.
Drei Smartwatches mit Android Wear
Google stellte in seiner Keynote außerdem drei Smartwatches vor, auf denen Android Wear laufen wird: Samsungs Gear Live, LGs G Watch und Motorolas Moto 360. Besucher der Google I/O konnten sich aussuchen, ob sie eine G Watch oder eine Gear Live mit nach Hause nehmen wollten. Zusätzlich zu diesem Geschenk bekommen sie außerdem eine Moto 360 geliefert, sobald sie verfügbar ist.
LG G Watch und Samsung Gear Live vorbestellbar
Dass LG an einer Smartwatch arbeitet, auf der Android Wear laufen wird, ist seit der Ankündigung des neuen Betriebssystems bekannt. Dass aber auch Samsung mit der Gear Live eine Android-Wear-Smartwatch entwickelt hat, wurde erst vor wenigen Tagen bekannt.
Beide Uhren besitzen ein eckiges Display. Das Design der Gear Live erinnert zudem sehr an die anderen Gear-Smartwatches von Samsung, auf denen das Betriebssystem Tizen läuft. Die Gear Live ist mit einem 1,63-Zoll-SuperAMOLED-Display ausgestattet, das mit 320 x 320 Pixeln auflöst. LG hat seine G Watch mit einem 1,65-Zoll-IPS-LCD-Bildschirm versehen, der eine Auflösung von 280 x 280 Pixel besitzt.
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Der Arbeitsspeicher beider Uhren liegt bei 512 MB, der interne Speicher bei 4 GB. Auch der Prozessor beider Uhren taktet mit 1,2 GHz gleich schnell. Die Kapazität des Akkus der Gear Live ist mit 300 mAh 100 mAh kleiner als die des Akkus der G Watch. Geladen werden die beiden Geräte über ein proprietäres USB-Kabel. An den Uhren befindet sich kein USB-Slot sondern sogenannte Pogo-Pins, wie sie auch bei den anderen Gear-Smartwatches zum Einsatz kommen. Beide Smartwatches sind mit einem Beschleunigungsmesser, einem Lagesensor und einem Kompass ausgestattet. Die Gear Live besitzt zusätzlich einen Pulsmesser.
Sowohl die G Watch als auch die Gear Live können ab sofort in Googles Play Store vorbestellt werden. Beide Uhren kosten rund 200 Euro. Damit ist die Gear Live etwas günstiger als die Galaxy Gear 2. Die Auslieferung von LGs G Watch startet am 3. Juli. Samsung verschickt seine Gear-Live-Smartwatches erst am 8. Juli.
Moto 360 verspätet sich
Motorolas Smartwatch Moto 360 wurde ebenfalls im Laufe der Keynote der Google I/O vorgestellt. Die technischen Spezifikationen der Uhr sind jedoch weiterhin unbekannt. Das runde Display, die edlen Materialien und die hervorragende Verarbeitungen lassen die Uhr extrem einzigartig wirken. Bekannt ist bereits, dass die Moto 360 über das kabellose Induktions-Ladesystem Qi aufgeladen wird. Motorolas Smartwatch soll demnächst ebenfalls im Google Play Store erscheinen, jedoch haben weder der Hersteller noch Google einen genauen Termin benannt.
Android One
Android-Chef Sundar Pichai kündigte außerdem die Initiative Android One an. Das Ziel sind günstige und hochwertige Smartphones. Erreicht werden soll dieses Ziel mit Referenz-Smartphones, bei denen Google Hardware-Vorgaben macht und ein Stock-Android zur Verfügung stellt, das mit regelmäßigen Updates versorgt werden soll. Hersteller können diese Referenz-Smartphones nachbauen und teilweise sogar recycelte Hardware verwenden. Sie sparen sich durch die Android-One-Initiative die Entwicklungskosten, wodurch Mittelklasse-Smartphones entstehen sollen, die für rund 100 US-Dollar gewinnbringend verkauft werden können. Android One soll noch dieses Jahr in Indien starten.
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Hinter diesem höheren humanitären Ziel, alle Menschen mit günstigen und guten Smartphones zu versorgen, verbirgt sich natürlich auch das Streben nach einem noch größeren Marktanteil. Ob man das gut oder schlecht findet, muss jeder für sich selbst entscheiden. Natürlich ist es ein Fortschritt wenn Unternehmen wie Google und Facebook möglichst viele Menschen mit einem Internet-Anschluss versorgen wollen. Am Ende geht es aber immer auch um die Erweiterung der eigenen Nutzerbasis.
Android Cloud
Google betreibt seit einigen Jahren sehr erfolgreich den Cloud-Speicherdienst Google Drive. Im Gegensatz zu Apples iCloud oder Microsofts OneDrive werden über Google Drive jedoch keine Einstellungen über mehrere Geräte hinweg synchronisiert, sondern lediglich Dateien. Das soll sich mit der Google Cloud nun ändern.
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Über ein Chrome-Konto können Nutzer bereits ihre Browser-Einstellungen auf jedes Gerät synchronisieren, auf dem sie bei Chrome angemeldet sind. Dateien können über Google Drive abgeglichen werden, Kontakte und Termie via Gmail beziehungsweise Google Calendar. Nun wird es zusätzlich möglich sein, Privatsphäre oder Energie-Einstellungen mit wenigen Schritten für alle Android-Geräte festzulegen. Auch für den neuen Kill Switch dürfte die Google Cloud essentiell sein.
Android Fit
Android Fit ist noch so ein Thema, bei dem man meinen könnte, dass Google sich bei Apple umgeschaut hat. Schließlich hat Apple vor rund drei Wochen erst HealthKit angekündigt. Aufgrund der zeitlichen Nähe müssen wir jedoch davon ausgehen, dass beide Unternehmen unabhängig voneinander an einem sehr ähnlichen System gearbeitet haben. Und wenn man sich die Schwemme an Fitness-Apps, Fitness-Trackern und Smartwatches mit Fitness-Funktionen so ansieht, ist das auch nicht weiter verwunderlich.
Wie bei Apples HealthKit geht es auch bei Android Fit darum, eine Umgebung für Gesundheits-Apps und -Geräte zu schaffen. Über die angebotenen Schnittstellen sollen die verschiedensten Geräten mit Android Fit verbunden werden können. Der aktuelle Puls kommt also zum Beispiel von der Smartwatch beziehungsweise von deren App und der Blutdruck vom entsprechenden Messgerät von einem völlig anderen Hersteller. Die Daten werden in einem Hub gesammelt und vereinheitlicht. Je nachdem wie die Entwicklung weitergeht, ist es in Zukunft eventuell sogar möglich den kompletten Datensatz an den Hausarzt zu schicken.
Android Auto, Chrome OS und Android TV
Wie auch Microsoft und Apple will Google die eigenen Betriebssystem und Geräte miteinander vernetzen. Einige der hierfür notwendigen Schritte sind die Google Cloud, GMail und Google Drive. Auf diese Weise sind jedoch nur Dateien, Einstellungen und Informationen synchronisierbar, nicht jedoch Programme.
Mit Android L sollen auch Android-Apps auf Chrome OS laufen. Android Auto soll auf die Bord-Computer der Autos wandern. Nutzer können Android Auto dann direkt vom Smartphone aus steuern. Außerdem will Google nach der Enttäuschung durch Google TV mit Android TV endlich auch einen Durchbruch auf den Fernseher in den Wohnzimmern erzielen. Android TV unterscheidet sich dabei kaum von Apple TV: Vom Smartphone aus können Anwender Inhalte oder das ganze Betriebssystem auf das Fernsehgerät streamen und gleichzeitig fernsteuern.
Was hat gefehlt?
Google hat auf seiner Entwicklerkonferenz keinerlei Hardware vorgestellt. Wir haben weder das nächste Nexus-Smartphone noch ein Nexus-Tablet zu sehen bekommen. Obwohl diverse Gerüchte behaupten, dass HTC mit dem Nexus 9 kurz vor der Fertigstellung des ersten Android-Tablets mit 64-Bit-Architektur steht.
Auch Neuigkeiten von Nest Labs haben wir schmerzlich vermisst. Erst gestern wurde bekannt, dass Nest nun doch Daten an Google weitergibt. Hierzu hätten wir gerne mehr erfahren. Die Integration zwischen dem Nest-Thermostat und Google Now hätte uns ebenfalls sehr interessiert.
Linktipp – Google Auto Link: Android im Auto genau so unnütz wie Apples CarPlay
Google+ wurde während der Keynote kein einziges mal erwähnt. Dabei würden wir nur zu gerne wissen, wie Googles weitere Pläne für das soziale Netzwerk aussehen. Auch die mögliche Fusion von Hangouts und Google Voice wurde nicht angesprochen. Wir gehen also davon aus, dass Google hierfür leider keine besonderen Pläne zu haben scheint.