Apples neueste Kultobjekte wie das iPhone 5 und iPad Mini haben dem Hersteller aus Cupertino in den letzten Monaten pralle Taschen beschert. Trotzdem befindet sich die Apple-Aktie derzeit im Fall. Einige Analysten sind sich deshalb sicher, dass Apples goldenes Zeitalter bereits hinter uns liegt. Andere glauben nach wie vor an die visionäre Kraft des Apfels. Klar ist vor allem eines: Wenn Apple tatsächlich ein Billionen-Dollar-Unternehmen werden will, ist es zu Innovationen wie dem iTV verdammt. Wir haben den Blick in die Glaskugel riskiert.


480 Milliarden Dollar. So viel ist Apple heute an der Börse wert. Der iPhone-Hersteller ist damit der wertvollste Konzern der Welt – mit Abstand. Geht es noch höher? Keine Frage, glauben Analysten: „Apple wird der erste Billionen-Dollar-Konzern der Welt“, mutmaßte der
Hedgefondsmanager Cody Willard bereits 2010. Dafür müsste die Apple-Aktie auf exakt 1072 Dollar zulegen, eine Wertsteigerung von mehr als 100 Prozent zum gegenwärtigen Niveau. „2015 ist es so weit“, ist sich Willard sicher. Andere Börsenexperten wie die Vermögensverwalter James Altucher und Andy Zaky, der den Börsenbrief Bullish Cross herausgibt, sehen die 1000-Dollar-Marke bereits 2014 fallen. Doch was dann? Lässt sich Apples Erfolg auch langfristig linear fortschreiben?
Vor allem deutsche Medien scheinen da skeptisch gestimmt. Das „Manager Magazin“ widmete Apple im Sommer des vorvergangenen Jahres eine Titelgeschichte mit der Überschrift „Das Ende des Appsolutismus“. Kostprobe: „Die erfolgreichste Firma der letzten Jahre hat ihren Zenit überschritten.“ Stand: Juni 2011.
Wie wird Apple im Jahr 2020 also aussehen? Als Königreich in der Auflösung? Oder als noch mächtigerer Weltkonzern, der die nächsten Industrien revolutioniert hat? Eines ist gewiss, darin sind sich alle Tech- und Finanzexperten einig: Apple kann sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern muss nachlegen und wieder ein neues „One More Thing“ aus dem Zylinder zaubern. Oder besser sogar zwei.
iTV wird 2013 fest erwartet
Glaubt man den zuletzt immer treffsichereren Spekulationen, könnte 2013 die Geburtsstunde des Apple-Fernsehers werden, der aller Voraussicht nach iTV heißen wird. „Ein Apple-TV ist Realität“, erklärt Star-Analyst Gene Munster von der Investmentbank Piper Jaffray im vergangenen Herbst.
Der Launch, der in der Branche insgeheim schon im letzten Jahr erhofft wurde, soll in den vergangenen zwölf Monaten an Lieferproblemen von Bildschirmkomponenten gescheitert sein. Nun geht Munster fest von einem Launch im November 2013 aus. Auch die TV-Industrie, der zähe Verhandlungen über die Distribution der Inhalte nachgesagt werden, drückt Apple offenbar die Daumen: „Ich hoffe, Apple bringt einen Fernseher heraus. Sie sind ein großartiger Gerätehersteller. Sie bringen ein tolles Interface und eine tolle Benutzerführung mit“, erklärte etwa Time-Warner-Chef Jeff Bewkes.
Wenn Apples eigene Geschichte als Blaupause taugt, ist der Wachstumstreiber für die nächsten Jahre damit gefunden. Die ersten Jahre nach Produkteinführung versprechen traditionell die größten Wachstumsraten. Das iPad, das im Januar erst drei Jahre alt wird, verbuchte bis zuletzt hohe zweistellige Zuwächse. Und selbst das iPhone, Apples mit Abstand wichtigster Geschäftszweig, legte im abgelaufenen Jahr noch immer um sehr respektable 58 Prozent zu. Diese beiden Sparten bilden, unabhängig vom Erfolg eines iTVs, auf dem Weg ins Jahr 2020 weiter das Fundament des Erfolgs.
Einen großen Trumpf dürfte Apple bereits in diesem Jahr ausspielen: das sehnlichst erwartete Debüt auf dem chinesischen Markt beim mit Abstand marktbeherrschenden Mobilfunkunternehmen China Mobile. Bislang liefert Apple im gewaltigsten Wachstumsmarkt der Welt nur über China Unicom und China Telecom, die Nummer zwei und drei der Branche. Ein Launch bei China Mobile, das inzwischen über 700 Millionen Kunden verfügt, könnte Apples iPhone-Absätze jährlich um 30 bis 35 Millionen steigern. Das sind mehr Abverkäufe, als jeweils in den letzten beiden Quartalen erzielt worden sind. Wachstumstreiber für 2013 und 2014 wären damit auch vorhanden.
Ab 2015, so erklärte Gene Munster auf einer Tech-Konferenz Ende November vergangenen Jahres, müsse Apple den Update-Zyklus dann auf halbjährlich verkürzen, um die immer schneller produzierenden Rivalen aus dem Android-Lager in Schach zu halten. Für das iPad dürfte ein sechsmonatiger Erneuerungszyklus bereits in diesem Jahr gelten, glaubt Munster.
iGlasses, iCar & Co - Der große Wurf nach 2015
Doch was passiert danach? Wie sieht Apples langfristige Zukunftsvision aus? Ein Blick in die Glaskugel, der weiter als drei Jahre vorausschaut, erscheint aus heutiger Sicht zumindest technologisch höchst spekulativ. Erinnern wir uns: Hätten wir uns Anfang 2010 bereits vier Generationen eines Tablet-Macs träumen lassen, über den zum Ende des vergangenen Jahrzehnts zwar jede Menge Gerüchte kursierten, der sich in der tatsächlichen Form als iPad aber weitgehend von den Spekulationen unterschied?
Oder gehen wir noch weiter in der Zeitschiene zurück: ins Jahr 2006, als Apple seine Mac-Sparte gerade auf Intel-Chips angepasst hatte und mit dem iPod traumhafte Zuwächse erzielte. Auch seinerzeit kursierten Gerüchte, dass Apple an einer neuen Produktkategorie feilte, die zwischen MacBooks und dem iPod liegen würde. Aber meinte man damit das iPad oder das iPhone? Seien wir ehrlich: Als das iPhone Anfang 2007 schließlich in Steve Jobs’ wohl bester Keynote enthüllt wurde, sah Apples erstes eigenes Mobiletelefon – vorher gab es bereits eine Kooperation mit Motorola in Form des Rockrs – so vollkommen anders aus als jede Spekulation, die Techblogs am Reißbrett entwerfen konnten. Die Zukunft war geboren.
Wie sie im Jahr 2015, 2016 oder 2017 in der Form eines „One more things“ nach dem iTV aussehen mag, erscheint aus heutiger Sicht also vollkommen vage. Gene Munster wagte Ende des vergangenen Jahres auf der Ignition-Konferenz des Bloganbieters Business Insider trotzdem eine Prognose. Ab 2015, spekuliert er, könnte Apple in den Markt der tragbaren Kleinstcomputer einsteigen. Gemeint sind damit Computer als Lifestyle-Accessoire wie Nikes Trainingsband Fuel sowie die Digitalbrille Google Glasses, die der Suchmaschinenriese dieses Jahr an Entwickler ausliefern will. Dass Apple die Google-Brille kontern muss, wenn sich diese Technologie durchsetzen sollte, gilt unter Tech-Experten als ausgemacht. „iGlasses“ klingt bereits wie Apples logische Antwort auf Google Glasses.
Tatsächlich deuten Patentanträge von Apple, die im Jahrhundertprozess gegen Samsung öffentlich gemacht wurden, darauf hin, dass das Unternehmen seit Längerem an einer Datenbrille experimentiert, die in der Darstellung von 3D-Bildern sogar noch weiter geht als Google Glasses. „Apple arbeitet im Geheimen daran, sein iPhone zu zerstören“, beschrieb auch der US-Technologieblog Alley Insider die Forschung am Zukunftsmarkt. Das Portalkonglomerat des früheren Internet-Staranalysten Henry Blodget spielt damit auf den Prozess der kreativen Zerstörung an, der bei Apple mit der Einführung des iPhones in der Kannibalisierung des iPods beziehungsweise mit der Einführung des iPad bei Macintosh-Computern griff.
iGlasses wäre also der nächste große technologische Quantensprung, der den Siegeszug des iPhones beenden könnte. Ob die Menschheit aber – vor allem unter dem Aspekt des Schönheitsideals – in vielleicht schon drei, fünf oder eben sieben Jahren reif dafür ist, mit einer Datenbrille durch die Weltgeschichte zu laufen, erscheint zumindest nach heutigem Verständnis als ziemlich zweifelhaft.


Was bliebe noch? Eine Kamera? Klingt eher nach der vergangenen Dekade. Das iPhone 5 fotografiert bereits so gut wie eine Kompaktkamera. Auch ein „iCar“, immer wieder beliebtes und nicht ganz ernst gemeintes Spekulationsobjekt auf Facebooks Pinnwänden, dürfte es eher nicht werden, auch wenn das iPhone als Accessoire im Auto immer weitere Verbreitung findet. Als „crazy stuff“ bezeichnete Apples Marketing-Chef Phil Schiller solche Pläne, über die bei Apple während der letzten Jahre von Steve Jobs immerhin einmal diskutiert wurde.
Noch futuristischer erscheinen die technologischen Schlagwörter, mit denen der Analyst Gene Munster um sich warf: Apple könnte ab 2020 sogar in den 3-D-Druckermarkt einsteigen oder Nanoroboter herstellen. Andy Zaky sieht Apple dagegen sogar schon im Bereich Nanomedizin, um ein Heilmittel gegen den Krebs zu erfinden, an dem Steve Jobs verstorben ist. Dabei könnte dann sogar Jobs’ Sohn Reed eine Rolle spielen: Er studiert Onkologie.
Doch bevor sich der Blick in die Glaskugel ganz in hollywoodreifen Zügen verliert, erscheint zumindest der Schauplatz der nächsten Dekaden absehbar: Apple wird im Jahr 2020, so viel scheint festzustehen, im ufoförmigen Campus zwischen 6000 Bäumen und Grünflächen residieren. Steve Jobs legte in seinem letzten öffentlichen Auftritt vor dem Stadtrat in Cupertino den Grundstein zum Apple-Campus, der am Ende vielleicht das beeindruckendste Vermächtnis des Apple-Gründers sein könnte.